Gondelsheim
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Gedenkstein in Gondelsheim

49.056903, 8.6575

Deportation

Die 80-jährige Lina Rotheimer aus der Leitergasse war die älteste Gondelsheimer Deportierte. Ihr Name steht neben denen von Fanny Beissinger, Sophie Dreyfufs, Sophie Metzger, Mina Wallach und Nelly Falk auf einem vom „Generalbevollmächtigten für das jüdische Vermögen in Baden” 1940/41 veröffentlichten Verzeichnis der am 22. Oktober 1940 aus Baden ausgewiesenen Juden”. Dieses maschinenschriftliche Verzeichnis wurde vermutlich für die Behörden zusammengestellt, um diesen die Abwicklung des „jüdischen Vermögens” zu erleichtern. Allerdings ist den Behörden bei Nelly Falk (1899-1942) ein Fehler unterlaufen, denn sie wurde nachweislich von ihrem Wohnsitz Karlsruhe aus deportiert. Die fünf Gondelsheimer Jüdinnen wurden zum Bruchsaler Bahnhof gebracht, wo ein Sonderzug auf sie und auf die anderen Kraichgauer Juden wartete.

Am 10. Dezember 1940 wandte sich die „Abteilung jüdisches Vermögen” am Bruchsaler Landratsamt an den Gondelsheimer Bürgermeister: „Hiermit beauftrage ich das Ortsgericht Gondelsheim mit der Versteigerung der Fahrnisse der Juden Lina Sara Rotheimer und Mira Sara Wallach. Die Versteigerung ist vorher rechtzeitig ortsüblich bekannt zu machen. Über die Versteigerung ist ein ordnungsmäßiges Protokoll aufzunehmen. Von der Versteigerung sind ausgeschlossen: Gegenstände, auf die ein Dritter Anspruch erhoben hat; Gold, Silber, Edelmetalle; Kunstgegenstände, Familienbilder, gute Teppiche, sehr wertvolle oder museumsreife Möbelstücke oder sonstige Gegenstände; Schuhe (neu und alt); Wische: Kohlen, Lebensmittel, Waschmittel; Bürogegenstände und Bücher. Alle diese Gegenstände dürfen nicht versteigert werden und sind bis auf weitere Weisung dort aufzubewahren. Nach dem Fahrnisverzeichniskommen hier u. a. vor allem die mit X bezeichneten Gegenstände und die 4 silbernen Löffel in Betracht. Die im Fahrnisverzeichnis genannten Gegenstände, die danach nickt versteigert wurden, sind am Schluss des Versteigerungsprotokolls besonders anzuführen, Lebensmittel, soweit sie nicht der Bewirtschaftung unterliegen und es sich auch nicht um größere Bestande handelt, sind der NSV gegen Empfangsbescheinigung zu übergeben. Die Gegenstande der Lina Sara Rotheimer sind getrennt von denen der Mina Sara Wallach zu versteigern und getrennte Protokolle anzufertigen.”

Sophie Metzger überlebte als einzige von ihnen. 1946 kehrte sie nach Gondelsheim zurück. Dort hatte sie mit der Schwerfälligkeit der Behörden zu kämpfen. Um zu ihrem Recht zu kommen, wandte sich im Dezember 1948 brieflich an den Finanzminister für Württemberg-Baden: „Am 6. Dezember 1946 kam ich aus der Internierung von Frankreich (Le Puy) zurück. [  ] Ich bin Eigentümerin eines Hauses mit Stallung und Garten. Mein sämtliches Mobiliar wurde während meiner Abwesenheit versteigert, das Haus jedoch blieb mir erhalten. Das Haus wurde während dieser Zeit vermietet, die Miete nach Bruchsal an das Finanzamt bezahlt. Nachdem mein Vermögen bis heute immer noch nicht freigegeben wurde, muss ich für mein eigenes Haus DM 15.- Miete bezahlen. Ich sehe nicht ein, dass ich noch weiterhin ungerechterweise leiden soll, indem ich für mein Eigentum noch zahlen soll, zumal ich mein Mobiliar wieder anschaffen musste. Ich bin 71 Jahre alt und durch meine Inhaftierung sehr leidend geworden (Rückgratverkrümmung). Ich kann also nicht mehr arbeiten und bin zudem auf Unterstützung angewiesen.“

Jüdische Ortsgeschichte

1548 wurden zum ersten Mal jüdische Händler in dem reichsritterschaftlichen Dorf Gondelsheim aktenkundig, doch begann sich erst Anfang des 18. Jahrhunderts das jüdische Leben zu verfestigen. 1825 umfasste die jüdische Gemeinde 79 Mitglieder (6 % der Ortsbevölkerung). Trotz antijüdischer Ausschreitungen im Schatten der Revolution im März 1848, scheint das Verhältnis zwischen den Religionsgemeinschaften ein erträgliches gewesen zu sein, wie die große Beteiligung der christlichen Bevölkerung an der Einweihungsfeier der neuen Synagoge im April 1849 nahelegt. 1875 hatte sich die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde gegenüber 1825 mehr als halbiert; 1925, im Jahr ihrer Auflösung, bestand sie nur noch aus zwei Familien und vier Einzelpersonen. Ihre Synagoge wurde 1930 verkauft.

Zu Beginn der NS-Herrschaft 1933 existierten noch zwei kleine jüdische Viehhandlungen am Ort. Der Viehhändler Moses Beissinger verstarb 1935 an den Folgen eines Schlaganfalls, ausgelöst durch ein Verhör durch die Gestapo. 1939 wurden die wenigen noch im Dorf lebenden Jüdinnen und Juden in einem sogenannten „Judenhaus“ konzentriert.

Zeugnisse jüdischen Lebens
Synagoge

Die ehemalige Synagoge Gondelsheimn in der Leitergasse 6 steht unter Denkmalschutz.

Stolpersteine

In Gondelsheim erinnern „Stolpersteine“ an Opfer der NS-Herrschaft.

Quellen
Adam, Thomas (Hg.): Gondelsheim: 750 Jahre Geschichte im Saalbachtal, Ubstadt-Weiher u. a. 2010, S. 85-88, S. 256-271 u. S. 316-323
Stude, Jürgen: Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Karlsruhe 1990: Ortsartikel Gondelsheim, S. 354-355
Stude, Jürgen: Die jüdische Bevölkerung [Gondelsheim] unter dem Nationalsozialismus, in: Adam, Thomas (Hg.): Gondelsheim: 750 Jahre Geschichte im Saalbachtal, Ubstadt-Weiher u. a. 2010, S. 85-88, S. 256-271 u. S. 316-323