Villingen
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Gedenkstein in Villingen

48.057734, 8.464682

Deportation

Am 22. Oktober 1940 wurden elf Villinger Jüdinnen und Juden mit fünf weitere aus Triberg, Geisingen und Riedöschingen in einem in Konstanz eingesetzten Sonderzug über Offenburg und Freiburg nach Südwestfrankreich deportiert. Die jüngste Villinger Deportierte war Bella Kohn, das sechs Monate alte Pflegekind von Berthold und Georgine Haberer aus der Schlösslegasse 2, die älteste die kränkliche 77jährige Bertha Schwarz. Sie und die anderen Villinger Deportierten wurden von Beamten in Polizeibegleitung am Morgen aus ihren Wohnungen geholt und in einem Keller der Villinger Gestapo-Zentrale gebracht (vermutlich Klosterring 1) eingesperrt. Von dort wurden sie später zum Bahnhof gebracht. Berthold Haberer und Bertha Schwarz und starben in Gurs und sind dort auf dem Lagerfriedhof beigesetzt. Die Tochter Julie, ihr Sohn Hugo und dessen Ehefrau Irma sowie Martha Schwab, Georgine Haberer und Hermann Faber wurden im Sommer 1942 nach Auschwitz verschleppt und sofort nach ihrer Ankunft dort vergast. Die Halbbrüder Heinrich und Sally Schwab wurden in Majdanek ermordet. Bella Kohn überlebte als einzige Villinger Deportierten. Die Krankenschwester Germaine May, eine Mitarbeiterin der OSE, konnte den Säugling aus dem Lager in das Säuglings- und Kleinkinderheim „La Pouponnière“ in Limoges bringe, später versteckte sie das Mädchen in Limoges bis zu der Befreiung Frankreichs von der deutschen Wehrmacht.

Jüdische Ortsgeschichte

1349 wurde die jüdische Bevölkerung Villingens als vermeintliche Verursacher der Pest vertrieben. Erst nach der rechtlichen Gleichstellung der badischen Juden im Jahr 1862 durften sich wieder jüdische Familien in der Stadt niederlassen – was allerdings nur zögerlich geschah. Wegen ihrer geringen Zahl schlossen sich die Villinger Jüdinnen und Juden der israelitischen Gemeinde Randegg als Filiale an, aus der die meisten von ihnen stammten. Auch ihre Toten bestatteten sie auf dem jüdischen Friedhof des Randendorfes.

Bereits zu Beginn des NS-Regimes 1933 kam es zu ersten Ausschreitungen gegen die jüdischen Einwohner. Am 10. November 1938, während des Novemberpogroms, setzten Villinger SA- und SS-Männer den Betsaal in der Gerberstraße in Brand; die jüdischen Männer wurden in das KZ-Dachau gebracht, wo man sie für Wochen festhielt.

Von den 1933 in Villingen gemeldeten 60 Jüdinnen und Juden kamen mindestens 19 in der Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus ums Leben.

Nach 1945 sind mehrere Jüdinnen und Juden nach Villingen zurückgekehrt. Die heute in der Stadt lebenden Jüdinnen und Juden gehören zur Israelitischen Kultusgemeinde Rottweil/Villingen-Schwenningen.

Zeugnisse jüdischen Lebens
Synagoge

In der Gerberstraße erinnert ein Brunnen an die Schändung des jüdischen Betsaals am 10. November 1938.

Eine Tafel des Münsterbrunnens thematisiert die Zeit des Nationalsozialismus in Villingen.

Stolpersteine

„Virtuelle Stolpersteine“ erinnern an die Villinger Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung: https://virtuellestolpersteine.wordpress.com.

Quellen
Lörcher, Heinz: Zusammenleben von Juden und Nicht-Juden in Villingen nach 1862, in: „Villingen im Wandel der Zeit“, Jahrgang 36 (2013)
Lörcher, Heinz: Formen des Erinnerns an das Dritte Reich als Unrechtsstaat in Villingen-Schwenningen, Bad Dürrheim und Donaueschingen, in: Erinnern und Vergessen, Donaueschingen; Villingen-Schwenningen, 2015, S. 127 - 150
Heitner, Wolfgang: Staatliche Beraubung und Versteigerungen jüdischen Vermögens in Villingen, in: Verein für Geschichte und Naturgeschichte der Baar 64 (2021), S. 111-128