Tauberbischofsheim
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Fotos der Deportation der Tauberbischofsheimer Jüdinnen und Juden (Stadtarchiv Tauberbischofsheim)
Deportation

Otto Mittelstraß, der kurz vor 1940 mit seiner Familie nach Tauberbischofsheim umgezogen war, wurde als Schüler Zeuge der Abholung der Taubberbischofsheimer Jüdinnen und Juden: „Ich bin an diesem Tag in die Schule gegangen in Tauberbischofsheim. Ich kam am 'Badischen Hof' vorbei; das ist ein altes Hotel mit einer großen Einfahrt von der Straße her mit einem Innenhof. Ich sah in diesem Innenhof einen Lastwagen, das war offensichtlich die kasernierte Schutzpolizei, also zwei oder drei Leute, die man sonst nicht kannte. Ich fragte, was denn da los sei, und man sagte, dass da die Juden abgeholt würden, und ich glaube, sie sagten damals auch, dass sie nach Frankreich kämen. Da ich nun in die Schule musste, konnte ich nicht bleiben und zuschauen, sondern bin weitergegangen und habe das dann auch von anderen gehört. Die Wagen sind dann so gegen 9 Uhr aus Tauberbischofsheim abgefahren. Das spielte sich also in einem Innenhof ab; ich habe nicht gesehen, dass irgendwelche Leute da waren und zusahen – allenfalls ein oder zwei Personen –, aber ich habe auch niemanden gesehen in braunen Hemden, die dabeigestanden hätten. Dass sich dies in einem Innenhof abgespielt hat, hängt damit zusammen, dass man die Juden ja schon im Herbst 1939 zusammengefasst hatte in sogenannten 'Judenhäusern'. Es waren sowieso nur noch sehr wenige Juden da. Vielleicht waren es zwei oder drei Familien, die in einem Hinterhaus des „Badischen Hof“ untergebracht waren; von dort wurden sie dann abgeholt, ohne dass viel Öffentlichkeit dabei gewesen wäre." (Schellinger 2001, S. 27)

Von den 22 Deportierten aus Tauberbischofsheim sind sechs im Lager Gurs oder in einem seiner Nebenlager verstorben, zehn wurden von dort über das Sammellager Drancy bei Paris nach Auschwitz verschleppt und dort bei ihrer Ankunft ermordet. Nur vier überlebten – darunter die 1925 geborene Hannelore Simon, die in der Krankenbarracke des Lagers Rivesaltes mitarbeitete wohin sie und ihre Mutter Flora Simon verlegt worden waren. Die Chefin der Krankenbarracke Dr. Branstein rettete sie vor der Verschleppung im August 1942 nach Auschwitz: „Dr. Branstein gab mir eine Spritze, damit ich Fieber bekäme und nicht an einen unbekannten Ort geschickt würde.“ Mit Hilfe mehrere Hilfsorganisationen und mit einer geänderten Identität überlebte Hannelore Simon die Zeit der Verfolgung. Ihre Mutter sollte sie nicht wiedersehen, sie wurde im Sommer 1942 von den Nationalsozialisten von Gurs auch nach Auschwitz verbracht und dort ermordet.

Jüdische Ortsgeschichte

1933 lebten in Tauberbischofsheim noch 106 Juden. Mit dem Boykott ihrer Geschäfte am 1. April 1933 begann ihr Ausschluss aus der kommunalen Wirtschaft. Ein weiterer Schritt in diese Richtung war die Verhängung eines Marktverbotes über die jüdischen Händler 1934. Im Juli 1938 wurde der 68jährige Viehhändler Raphael Bauer in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert und dort erschossen. Während des Novemberpogroms 1938 zerschlugen SA-Männer die Inneneinrichtung der Synagoge und verbrannten das Inventar.

Am 3. September 1939, zwei Tage nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, trieben SA-und NSKK-Männer die 15 noch in Tauberbischofsheim wohnenden Jüdinnen und Juden in das jüdische Gemeindehaus, danach in die Bachgasse zur Synagoge. Dort mussten sie in die Knie gehen und den Boden küssen und anschließend Liegestützen im nahen Bach verrichten. Während dieses Spießrutenlaufens zwang die SA und die NSKK die jüdischen Männer Plakate mit der Aufschrift „Wir sind die Kriegshetzer“ um den Hals tragen. Bis zum 25. Oktober 1939 mussten etwa 15 Familien im jüdischen Gemeindehaus ausharren; es war ihnen nicht einmal erlaubt, die Fenster zu öffnen.

Zeugnisse jüdischen Lebens
Synagoge

Das Gebäude der ehemaligen Tauberbischofsheimer Synagoge steht in der Bachgasse 4.

Friedhof

Der 1875 eingerichtete jüdische Friedhof von Tauberbischofsheim liegt in der Hochhäuser-Straße beim städtischen Friedhof.

Quellen
Projektgruppe Mahnmal (Hg.): Wegverbracht. Das Schicksal der Tauberbischofsheimer Juden 1933-1945: eine Dokumentation, Tauberbischofsheim 2009
Sass, Cahna: Von Tauberbischofsheim nach Jerusalem, Das Schicksal einer Jüdin aus Tauberbischofsheim. Tauberbischofsheim 2013
Bartholme, Martin: Schokolade zum Frühstück, in: Von Leidenschaft und Verlusten. Kurzgeschichten, Altenriet 2020, S. 98-106
Schellinger, Uwe: Vortrag über Unterbelichtete Erinnerung: Fotohistorische Zugänge zur Deportation der badischen Juden am 22.10.1940, in: AG für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein e.V., Protokoll über die Arbeitssitzung am 13.12.2001, S. 27-28