Am 22. Oktober 1940 wurden mindestens 52 Jüdinnen und Juden aus Lörrach und den umliegenden Orten in die ehemalige Handelsschule am heutigen Marktplatz gebracht, wo man ihre Personalien feststellte und sie nach Schmuck und Geld durchsuchte. Danach mussten sie auf Lastwagen steigen, die sie zum Freiburger Hauptbahnhof fuhren. Eine 25 Aufnahmen umfassende Fotoserie der Abholung in Lörrach versuchen den Eindruck eines korrekt ablaufenden behördlichen Vorgangs zu erwecken. Auch von der Versteigerung des Hausrats der Deportierten im November 1938 liegt eine Fotostrecke vor. Die Aufnahmen zeigen eine geradezu ausgelassene Stimmung.
In einem Bericht des Lörracher Landrat Bericht von 1946 ist zu lesen: „Am 22. 10. 1940 wurden dann sämtliche männlichen und weiblichen Juden mit ihren Kindern durch die Gestapo und politischen Verbinde mit etwas Gepäck versehen in den frühen Morgenstunden aus den Wohnungen weggeholt und gesammelt. Wie überall in Baden waren sie völlig unvorbereitet und geschockt und hatten kaum Zeit, das Nötigste zu packen. Die Juden wurden sodann mit LKW's. nach Freiburg verbracht, von wo sie dann nach Gurs (Südfrankreich) weiter transportiert worden sein sollen. Bei den Abtransporten haben sich verhetzte Gaffer und diesbezügliche Elemente, die zum Teil Schmährufe ausstießen, angesammelt. Steine oder sonstige Gegenstände wurden nicht nach den Transportwagen geschleudert. Es kam in Lörrach, wie in ganz Baden, zu keinerlei Protesten gegen die Deportation der Juden.“
Die Lörracher Verhafteten wurden in der Alten Handelsschule beim Marktplatz gesammelt; zum Teil kamen sie zu Fuss mit ihren Bündeln und Taschen, zum Teil wurden sie von Camions herbeigebracht. Auch in Stetten wurden die Juden abgeholt, darunter die 84jährige Elise Willstätter mit ihrem Sohn Gustav. Ein Nachbar erinnert sich, wie die alte Frau Willstätter, die kaum mehr gehen konnte, auf den vorgefahrenen Lastwagen hinaufgehoben werden musste. Ihr Sohn, der am Tage des Kriegsausbruches noch seine Auszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg - das Eiserne Kreuz 1. und 2. Klasse und die Badische Tapferkeitsmedaille - getragen hatte in der vergeblichen Hoffnung, damit vor der Deportation geschützt zu sein, wurde mit ihr abtransportiert. Aus Grenzach wurden vier Mitglieder der Familie Bloch, die ursprünglich aus Kirchen stammten, aber schon seit 1919 in Grenzach lebten, von der Gestapo auf Lastwagen herbeigeführt. Schließlich waren 50 Personen in der Alten Handelsschule versammelt, beinahe die Hälfte davon über 60 Jahre alt. Aber auch jüngere Frauen und Männer waren dabei, und ein zehnjähriges Kind.
Auf dem Marktplatz warteten, umringt von Zuschauern, drei offene Lastwagen, versehen mit Sitzgelegenheiten und mit Blachen überdeckt. In diese wurden die Menschen nun verladen. Eine Augenzeugin berichtet: „Ich war damals 19 Jahre alt und arbeitete bei der Deutschen Bank. An jenem Morgen stand ich, zusammen mit einem Arbeitskollegen, am Fenster auf der Rückseite des Hauses, von wo wir direkt auf den Marktplatz hinunterschauen konnten. Es war ein trüber Spätherbsttag, neblig und grau, relativ früh am Vormittag. Da sahen wir, wie die Juden auf die Lastwagen geladen wurden, die da unten standen. Es waren zwei oder drei Lastwagen. Das waren arme, alte Leute, zwischen 60 und 80 Jahren alt, kaum jüngere, Männer und Frauen. Sie hatten ganz wenig Gepäck bei sich, nur das, was sie tragen konnten. Sie mussten auf die Lastwagen steigen, wurden richtig hinaufgestoßen. Auch Nachbarn von uns, Familie Josef von der Schützenstraße, wurden aufgeladen. Ich hätte weinen können, als die Lastwagen abfuhren. Das hat einen schon sehr bewegt, diese armen, alten Leute - die hatten doch da ihre Heimat und mussten nun weg von allem. Aber wir durften unser Bedauern oder unser Mitleid mit den Juden nicht einmal zeigen, konnten uns nur mit den Augen ein Zeichen geben, denn wir hatten einen Obernazi im Büro. (…)“ Quelle: Seiler, Lukrezia: Was wird aus uns noch werden? Briefe der Lörracher Geschwister Grunkin aus dem Lager Gurs, 1940-1942, Zürich 2000, S. 45-47
Mindestens die Hälfte der deportierten Lörracher Jüdinnen und Juden kamen in südfranzösischen Internierungslagern oder in den Mordlagern Osteuropas ums Leben. Andere konnten überleben, wie die bei ihrer Abholung am 22. Oktober 1940 achtzehn Jahre alte Paula Bloch, die eine Hilfsorganisation im Dezember 1942 aus dem Lager Gurs herausholte und in einem Heim unter dem Namen „Paulette Boller“ versteckte und am 5. Dezember 1942 illegal über die Grenze in die Schweiz verbrachte. Auch der 1930 geborene Herbert Wertheim wurde von Mitarbeitern der OSE aus dem Lager Rivesaltes, wo die Familie seit März 1941 lebte, befreit. Bis zur Befreiung Frankreichs lebte er im Kinderheim „Chäteau Montintin“. Seinen Vater sollte er nicht wiedersehen. Siegfried Wertheim ist am August 1942 nach Auschwitz deportiert worden, wo man ihn vermutlich ermordete; seine Mutter Lisa Wertheimer überlebte die Zeit der Verfolgung.