Lichtenau
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Gedenkstein in Lichtenau

48.7254281, 8.0068444

Jüdische Ortsgeschichte

 Lichtenau Landkreis Rastatt

Die 2005 geschaffenen Lichtenauer Gedenksteine sind das Werk der Klasse 9 der Lichtenauer Gustav-Heinemann-Schule. Begleitet wurden die Schülerinnen und Schüler von Daniela Gauglitz-Wehle und von Maik Heinrich. Da bereits ein Gedenkstein in der Schmied-Straße steht, wurde in Lichtenau auf einen Mahnmalstein verzichtet.

Beschreibung der Gedenksteine

Die Lichtenauer Jugendlichen starteten ihr Gedenksteinprojekt mit Befragungen von Zeitzeugen und mit der Recherche zur Geschichte der ehemaligen jüdischen Gemeinde Lichtenau. Bei einem Gespräch mit dem Lichtenauer Bürgermeister ergab sich eine Arbeitsteilung: Die Stadt bemühte sich um einen passenden Stein, den ihr schließlich die Stadt Lichtenberg - ihre elsässische Partnergemeinde - zum Geschenk machte und die Jugendlichen sorgten für einen Entwurf der Gedenksteine, der einen aus dem Stein herausgearbeiteten Lebensbaum zeigt. Dieser Lebensbaum steht für das Leben, die neuen Zweige, die aus einem angebrochenen Ast herauswachsen, stehen für die Gewissheit, dass selbst aus Zerstörtem wieder neues Leben sprießen kann.

Jüdische Ortsgeschichte

Im 17. Jahrhundert ließen sich zum ersten Mal jüdische Händler in der zur Grafschaft Hessen-Darmstadt gehörenden Stadt Lichtenau nieder. In der Schmiedstraße (früher Synagogenstraße) standen die 1810 eingeweihte Synagoge, das Ritualbad und die jüdische Schule. Wenige Wochen nach der NS-Machtübernahme 1933 endete in Lichtenau das bis dahin friedliche Zusammenleben zwischen evangelischer Mehrheit und jüdischer Minderheit: Tätlichkeiten und Durchsuchungen jüdischer Wohnungen durch SA-Männer bildeten den Auftakt. Am 10. November 1938 wüteten SA- und SS-Männer aus Kehl gegen die jüdischen Einwohner. Am gleichen Tag wurden die jüdischen Männer Lichtenaus in die Kreisstadt Kehl gefahren, dort misshandelt und für mehrere Wochen in das KZ Dachau gebracht. Zwei von ihnen kamen dort ums Leben. Die Lichtenauer Synagoge blieb im Novemberpogrom 1938 unversehrt, wurde aber später abgerissen.

Am 22. Oktober 1940 wurden 24 Jüdinnen und Juden aus Lichtenau nach Gurs verschleppt. Die damals 17jährige lse Noel (geb. Adler) arbeitete zu diesem Zeitpunkt in einem jüdischen Altersheim in Karlsruhe, und musste dort in einen der Deportationszüge steigen. Erst im Lager Gurs traf sie auf ihre Eltern Arthur und Paula Adler, ihren Bruder Heinz und ihre 70jährige Großmutter: „22 lange Monate musste ich in dem Lager verbringen. Hilfsorganisationen und der damalige französische Präfekt versuchten, viele Jugendliche und Kinder aus dem Lager zu retten. Mein Bruder und ich hatten das Glück, unter den wenigen zu sein. Denn nun begannen auch die Transporte nach Auschwitz. Wir mussten uns bis zum Kriegsende verstecken. Mein Bruder kam mit anderen Kindern, deren Eltern alle deportiert worden waren, in verschiedene Kinderheime. Ich kam ebenfalls in ein Kinderheim und arbeitete dort in der Küche. Jeden Tag hatten wir für über hundert Kinder zu kochen. Mein Bruder wurde von einem Verwandten adoptiert und gelangte mit acht Jahren in die USA. (…) Mein Vater und meine Mutter sowie mehrere Verwandte wurden 1942 nach Auschwitz deportiert, wo sie vergast worden sind. Mein älterer Bruder Karl wurde von Hamburg aus verschleppt und ist verschollen.“

Ilse Noel und ihr Bruder gehörten zu den fünf Lichtenauer Deportierten, die die Zeit der Verfolgung überleben konnten. Elf Deportierte starben in Gurs oder in einem seiner Außenlager. Acht Lichtenauerinnen und Lichtenauer wurden im Sommer 1942 von den Lagern Gurs bzw. Rivesaltes über das Sammellager Drancy nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.

Zeugnis

In der Schmied-Straße steht der Gedenkstein zu Erinnerung an die Lichtenauer Jüdinnen und Juden.

Quellen
Götz, Patrick / Rumpf, Andrea: Jüdische Spuren in Achern, Lichtenau, Schwarzach und Stollhofen, in: Stadt Bühl, Stadtgeschichtliches Institut (Hg.): Jüdisches Leben: auf den Spuren der israelitischen Gemeinde in Bühl, Bühl 2001, S. 22-28
Stadt Lichtenau (Hg.): 1300 - 2000 - Stadt Lichtenau, Lichtenau 2000, S. 29-42
Uibel, Ludwig: Die israelitische Gemeinde in Lichtenau im 19. Jahrhundert, in: „Die Ortenau“ 82 (2002), S. 487