Gernsbach
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Gedenkstein in Gernsbach

48.763178, 8.3437129

Deportation

Am 22. Oktober 1940 lebten in Gernsbach noch Eugen Lorsch, sein Sohn Heinz (geb. 1925), seine Haushälterin Berta Marx, der Witwer Hermann Nachmann, Hilda Dreyfuß und das Ehepaar Erna und Arthur Kahn mit den Töchtern Liselotte (geb. 1931), Margit Kahn (geb. 1935) und Flora Morstadt. Außer Flora Morstadt, die in einer sogenannten "Mischehe" lebte, mussten alle anderen Gernsbacher Jüdinnen und Juden am 2. Oktober 1940 an der Stadtbrücke einen LKW besteigen, der sie zum Rastatter Bahnhof brachte. Unterwegs stoppte der LKW in Hörden, um die dortigen Jüdinnen und Juden mitzunehmen. 

Eugen Lorsch, Hermann Nachmann und Arthur Kahn sind in einem der französischen Lager verstorben, noch vor Einsetzen der Deportationen aus dem sogenannten freien Frankreich nach Auschwitz im Sommer 1942. Diesen Transporten in den Tod mussten sich Bertha Marx und Hilda Dreyfuß ebenso Erna Kahn anschließen. Deren Töchter Lieselotte und Margit wurden im September 1941 von der OSE in das Kinderheim des OSE* in Palavas-les-Flots und im Februar 1942 in das Heim im „Chäteau Chabannes“ verbracht.  Als die deutsche Wehrmacht im November die „freie Zone“ besetzten versteckte man sie bei einer Familie in Nyons. 1946 konnten sie zu Verwandten in die USA ziehen. Im Untergrund überlebte Heinz Lorsch; nach Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte er nach Deutschland zurück. Er ist auf dem jüdischen Friedhof in Kuppenheim begraben. Die in Gernsbach verbliebene Flora Morstadt und ihr protestantischer Ehemann mussten zahlreiche Schikanen erdulden.

Jüdische Ortsgeschichte

1683 wurde zum ersten Mal eine jüdische Familie in dem damals badisch-speyerischen Gernsbach im speyerischen Teil der Stadt erwähnt. Ihre höchste Mitgliederzahl erreichte die jüdische Gemeinde 1910 mit 71 Personen. Ihre Gottesdienste feierte sie in ihrer 1928 erbauten Jugendstil-Synagoge in der Austraße, gemeinsam mit den Mitgliedern der jüdischen Nachbargemeinde Hörden. In den Jahren vor der NS-Herrschaft gestaltete sich in Gernsbach das Zusammenleben zwischen Christen und Juden ohne größere Konflikte. Die jüdischen Einwohner engagierten sich in Vereinen und in kommunalen Gremien.

Die jüdischen Einzelhändler und Gewerbetreibenden Gernsbachs hatten durch den am 1. April 1933 ausgerufenen reichsweiten Boykott der jüdischen Geschäfte schwer zu leiden. Fünf Jahre später, am 10. November 1938, steckten SA-Männer aus Gaggenau die Synagoge in Brand und verwüsteten Wohnungen und Geschäfte der jüdischen Hördener. Am gleichen Tag wurden etwa 20 jüdische Männer von den Nationalsozialisten für mehrere Wochen in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Nach dem Novemberpogrom zogen viele Gernsbacher Juden in größere Städte oder emigrierten ins Ausland.

Am 23. Oktober 1940 beschlagnahmten die Behörden den Hausrat der Deportierten, der später vom Bürgermeisteramt versteigert wurden. In die frei gewordenen jüdischen Wohnungen zogen „arische“ Mieter ein.

Zeugnisse jüdischen Lebens
Gedenksteine

Dem 1936 errichteten Gernsbacher Gefallenen-Denkmal wurden 1985 nachträglich die Namen der jüdischen Kriegstoten des Ersten Weltkrieges hinzugefügt.

Synagoge

Vor dem Standort der ehemaligen Synagoge (Austraße 3) wurde 1985 eine Gedenktafel angebracht.

Stolpersteine

In der Bleichstraße wurden 2020 an drei Standorten insgesamt sieben sog. "Stolpersteine" verlegt, die an deportierte/ermordete ehemalige jüdische Bewohner erinnern; weitere Gedenkquader folgten 2022 und 2023.

Andere Zeugnisse

2020 erhielt ein Fuß- und Radweg zwischen Blumenweg und Austraße (Standort der früheren Synagoge Gernsbach) den Namen „Synagogenweg" mitsamt Straßenschild, angeregt vom Arbeitskreis für Stadtgeschichte.

Quellen
Renger-Zorn, Cornelia / Schlenker, Max: Unter der Herrschaft absoluter Fürsten 1661-1803, in: 800 Jahre Gernsbach, Gernsbach 2019, S. 85-101 u. 104-120
Stiefvater, Oskar: Geschichte und Schicksal der Juden im Landkreis Rastatt. In: Um Rhein und Murg. Heimatbuch des Landkreises Rastatt, 5 (1963), S. 42-83
Arbeitskreis Stadtgeschichte: Der Sabbatweg von Gernsbach. Einladung zu einem Rundgang. O. J., Horb am Neckar
Arbeitskreis Stadtgeschichte Gernsbach: 22. Oktober Gernsbach. Jugendliche erinnern an die deportierten Jüdinnen und Juden, Gernsbach 2024