Leo Louis
Kahn
Vom geachteten deutschen Frontkämpfer zum entrechteten Juden
Mit dem Lebensweg von Leo Louis Kahn kann exemplarisch dargestellt werden, wie jüdische Bürger des Städtchens in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gleichberechtigt und geachtet mit ihren Nachbarn zusammen lebten, in den 30er Jahren zunehmend ausgegrenzt, geächtet, entrechtet und ihrer Existenzgrundlage beraubt wurden.
Aus geduldeten Schutzbürgern waren im Laufe des 19. Jahrhunderts in einem mühsamen Emanzipationsprozess gleichberechtigte Bürger geworden. Viele Männer waren in der Freiwilligen Feuerwehr und in den Vereinen des Städtchens; sie kämpften im ersten Weltkrieg und wurden dafür geehrt; sie waren in das wirtschaftliche und kulturelle Leben integriert. Sie konnten ebenso wie Christen z. B. ihr „angeborenes Recht auf Bürgernutzen“ (Holz aus dem Gemeindewald) antreten. Jüdische und christliche Kinder besuchten gemeinsam die Schule und spielten miteinander. Ebenso wie zahlreiche andere Sulzburger war Leo Kahn Soldat im Ersten Weltkrieg.
Als Leo Louis Kahn 1884 geboren wurde, hatten seine Vorfahren schon mehr als 150 Jahre in Sulzburg gelebt.
Viele Juden konnten sich am Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft in ein oft sehr schwieriges Exil retten, andere, auch die Familie des Leo Louis Kahn, blieb vorerst in Sulzburg. Glaubte er, als Frontkämpfer im 1. Weltkrieg könne ihm nichts geschehen? Hatte er Sorge, er könne im Alter von 50 Jahren keine neue Existenz mehr aufbauen? Bekam die Familie eins der zahlreichen Papiere nicht, die zur Auswanderung bzw. Einwanderung in ein anderes Land notwendig waren? Konnten sie die nötigen Gebühren und Abgaben nicht bezahlen? Hingen sie zu sehr an Sulzburg? Konnten sie sich das Unvorstellbare der Naziabsichten nicht vorstellen? All dies wären mögliche Gründe.
Die jüdischen Händler im ländlichen Raum waren schon während der Wirtschaftskrise in immer schwierigere wirtschaftliche Verhältnisse geraten und waren wegen der zunehmenden Einschränkungen ab 1933 in ihrer Existenz bedroht. Nachdem Leo Louis Kahn zum 1. 1. 1938 die Ausübung seines Berufes untersagt worden war, beantragte er schließlich eine Ausreisegenehmigung in die Schweiz für seine Frau und sich.
Zum 1. 3. 1938 kündigte ihm die Spar- und Darlehnskasse eGmbH Sulzburg seine Kredite, die er nun nicht mehr bedienen konnte. Die Familie war jetzt für ihren Lebensunterhalt auf den Garten und die letzte verbliebene Kuh angewiesen.
Am 10. November 1938 wurde Leo Louis Kahn, ebenso wie etwa 2000 jüdische Männer aus Baden und Württemberg, verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Die traumatische Erfahrung des Pogroms vom 10. November 1938 bewirkte, dass viele ihre Bemühungen zu fliehen verstärkten, zumal die Männer nur unter der Bedingung aus Dachau entlassen wurden, dass sie den ernsthaften Willen zur Auswanderung nachwiesen.
Auch Leo Louis Kahn versuchte alles, nicht nur seine Kinder Ruth, Paula, Marga und Sally, sondern auch seine Frau und sich selbst in Sicherheit zu bringen. Trotzdem gelang die Flucht aus den immer bedrü¬ckenderen und erbärmlicheren Lebensumständen nicht, sodass das Ehepaar und die jüngste Tochter Marga am 22. Oktober 1940 zusammen mit 4464 badischen Juden in das Internierungslager Gurs deportiert wurde. Marga konnte in ein jüdisches Kinderheim gerettet werden, Elfriede und Leo Louis Kahn überlebten fast 22 Monate lang die fürchterlichen Zustände im Lager, bevor sie zuerst in das Lager Drancy und dann nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden.